Die Kirche von Jesus besteht seit gut 2000 Jahren und ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass sie auch bestehen wird, bis unsere Hoffnung auf sein Wiederkommen in Erfüllung gehen wird.
Phase 1: Gründungsphase – Der Prophet
Phase 2: Wachstumsphase – Der Barbar
Phase 3: Reifungsphase - Der Entdecker und der Bauherr
Phase 4: Schrumpfungsphase – Administratoren und Bürokraten
Diese DNA steckt folglich auch in jeder einzelnen Ortsgemeinde. Gleichzeitig bleibt offen, ob jede Ortsgemeinde auch über die nötige Flexibilität verfügt, um sich immer wieder auf die sich ständig wandelnden Anforderungen des jeweiligen Umfeldes anzupassen. Denn wie jede andere Organisation auch, durchlaufen Gemeinden einen natürlichen Lebenszyklus, bei dem sie Wachstum, Reifung und möglicherweise auch einen Rückgang bis hin zur Schließung erfahren. Je nach Phase sind somit unterschiedliche Leadership Skills und Prozesse nötig, um die Gemeinde so zu führen, dass sie ihren Auftrag möglichst lange ausleben und für die Menschen ein Segen bleiben kann.
Wie diese Lebensphasen genau aussehen, mit welchen Herausforderungen typischerweise zu rechnen sind und welche Leitertypen charakteristisch für die jeweilige Phase stehen, findest du in diesem Blog.
Wichtig zu verstehen, ist, dass es sich hierbei um ein Modell mit fließenden Übergängen handelt. Selbst innerhalb einer Kirche könnten z.B. unterschiedliche Locations für sich an unterschiedlichen Phasen stehen.
Nun lasst uns aber in die Thematik eintauchen und starten:
Phase 1: Gründungsphase – Der Prophet
Vision, Vision, Vision: Das steht in der Gründungsphase einer Kirche im Zentrum. Die Stimmung ist nahezu elektrisierend, es herrscht ein Gefühl des Aufbruchs ins Ungewisse, alles ist neu, alles ist spannend und man blickt voller Erwartung in die Zukunft. Viele Gespräche werden geführt, Menschen werden an Bord geholt, andere erscheinen „wie aus dem Nichts“ und ein erstes Team beginnt sich langsam, aber sicher um eine oder mehrere Leitungspersonen herum zu formen.
Die Priorität in dieser Phase liegt, wie könnte es anders sein, allem voran auf Vision und Mission. Man traut sich mutig zu träumen und dies auch offen kommuniziert. Die Vision wird erarbeitet und niedergeschrieben, Mission Statements werden formuliert und das Gefühl von etwas Neuem und Frischem liegt jeglichem Unterfangen zu Grunde.
In dieser Zeit ist es unerlässlich, dass die Leitung sich grundlegende Gedanken über die Identität der Kirche macht. Nicht nur darüber, wohin sie gehen und was sie erreichen, sondern vor allem darüber, WER sie sein möchte. Nie wieder wird es so „einfach“ sein, eine gesunde und wachstumsfördernde Kultur zu implementieren wie in dieser Phase. Die Werte, die jetzt gelegt werden – seien sie positiv oder negativ – werden die Kirche für den Rest ihrer Existenz prägen und formen.
Typischerweise ist diese Phase dahingehend sehr kritisch, als dass hier Fehlentscheidungen, in Strategie- oder Führungsfragen, ungleich heftiger durchschlagen als in den anderen Phasen. Das gilt sowohl im Positiven als auch im Negativen. Les McKeown beschreibt diesen Zustand in seinem Buch „Predictable Success“ als „early struggles“ (zu dt. etwa frühe Kämpfe oder frühes Rackern). In dieser Phase ist es wichtig, dass die Gründer neben einer überzeugenden und ansteckenden Vision, auch über eine Strategie verfügen, wie genau sie a) Menschen erreichen möchten und b) wie eine gesunde Finanzierung aussieht. (mehr Infos und Hilfestellung unter www.start-up.church)
Die typische Leiterrolle in diesem Bereich ist der „Prophet“. (vgl.Lawrence Miller, Barbarians to Bureaucrat:: Corporate Life Cycle Strategies: Corporate Life Cycle Strategies, 1989) (Anm. nicht gleichzusetzen mit biblischen Propheten oder Eph 4,11, sondern an dieser Stelle vielmehr als Metapher zu verstehen)
Die stärkste seiner Waffen ist seine Vision und sein Glaube an eine großartige Zukunft, welche er durch die noch kommenden Errungenschaften formen und gestalten will. Häufig verfügen Propheten über nicht viel mehr, als ihre Inspiration und ihre absolute Hingabe an diese neue Kirche - und das soll für den Anfang auch genügen. Sie sind es nicht gewohnt, Entscheidungen im Konsens zu treffen und viele Ratgeber zu konsultieren. Dies macht es auf der einen Seite einfach, schnelles Wachstum zu generieren. Auf der anderen Seite, liegt genau darin eine gewisse Gefahr, wenn sie sich außerhalb ihrer Expertise bewegen. Sie mögen zwar auf die Ideen anderer hören, doch fällt es ihnen schwer, diese Ideen als gleichwertig zu ihren eigenen anzuerkennen. Höchstwahrscheinlich schaffen sie es, eine treue Gruppe um ihre Vision herum zu versammeln, die bereit ist, die Ideen des Propheten umzusetzen. Durch diese Synergie entstehen häufig dynamische, schnellwachsende Bereiche. Um effektiv und ihrer Stärke führen zu können, benötigen sie Flexibilität und eine hohe Bewegungsfreiheit. So navigieren sie die noch junge Kirche in dieser ersten Phase schnell aus den „early struggles“ heraus. Sind Propheten in der Führungsrolle, so entsteht häufig eine sehr starke Fokussierung auf die Mission und das „Warum“ der Kirche. Die Kirche befindet sich dann in dieser Phase, wenn
…die Leitungsperson visionär und kreativ ist, und sich die Kirche um deren Vision herum gründet
…die Kirche noch auf recht wackligen Beinen steht, da noch keine ernsthaften Krisen durchschritten werden mussten
… sich die Dinge als chaotisch und fast täglich wechselnd erweisen
… und eine große Begeisterung und ein starker Glauben an die Zukunft existiert.
Phase 2: Wachstumsphase – Der Barbar
In der Wachstumsphase einer Kirche wächst die Mitgliederzahl stark und z.T. exponentiell. Neue Gemeindegruppen und Dienstbereiche entstehen, Gottesdienste finden nun regelmäßig statt und neue Programme und Angebote wie der Kids-Bereich werden entwickelt, um sowohl den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder gerecht zu werden, als auch neue Menschen zu gewinnen. Die Stimmung in der Gemeinde ist sehr gut, man genießt das Momentum. Herausforderungen in dieser Phase sind sogenannte Wachstumsschmerzen, über die sich die Leitung im Grunde genommen freut. Gottesdienstsäle werden schnell zu klein, technisches Equipment reicht nicht mehr aus, die räumliche Infrastruktur im Kids-Bereich oder in den Büros stößt an ihre Grenzen. Gleichzeitig entsteht eine Vielzahl an neuen und starken Beziehungen und Freundschaften. Durch ein neu implementiertes Kleingruppensystem werden Menschen kontinuierlich aufgefangen und in die Gemeinschaft integriert. Sie finden ihren Platz in der Gemeinde, beginnen sich einzubringen, zu dienen und zu geben.
McKeon nennt diese zweite Phase „Fun“ – und das ist es auch. Es ist schön, wenn die harte Arbeit der Vergangenheit nun ihre ersten Früchte trägt. Der Schweiß, die Gebete, die unzähligen Abende, die investiert wurden, all das scheint sich nun endlich auszuzahlen. Momentum entsteht. In dieser Phase steigt auch die finanzielle Stabilität der Kirche, um erste Investitionen und Anstellungen zu ermöglichen. Es können größere Gebäude angemietet werden, es wird in neues Equipment investiert und die Gemeinde sieht: „Hier geht was!“ Man könnte fast meinen, alles, was man anpackt gelingt – „how hard can it be?!“ Doch Vorsicht, der Schein trügt: Noch fehlt es der Gemeinde an einigen Stellen an der nötigen Stabilität - sie befindet sich einem Bereich, in dem noch einige entscheidende Hürden genommen werden wollen:
- Angestellte werden anders geführt als Ehrenamtliche
- Hypotheken und andere finanzielle Commitments wie Gehälter, erfordern einen regelmäßig hohen oder gar wachsenden Cashflow
- Das gefühlte Gap zwischen Vision und Realität ist so groß wie nie zuvor, wodurch die innerliche Spannung und der äußere Druck zunehmend wächst
- Strukturelle Herausforderungen nehmen immer mehr zu und lenken den Fokus vom Wesentlichen ab, so muss man sich beispielsweise zunehmend mit Thematiken wie neuen Räumlichkeiten oder der Buchhaltung und dem Vereinsrecht „herumschlagen“, während der Fokus doch auf den Menschen liegen sollte
- Aus diesen Spannungen resultierend, kommen Kirchen und Gemeinden zum Ende der Phase II, in das sogenannte „Whitewater“ (dt.: Weißwasser). Diese Phase beschreibt das Chaos, das durch Wachstum verursacht wird. Menschen werden zunehmend enttäuscht darüber, dass der Pastor deutlich weniger Zeit mehr für sie hat und es „hier nur noch ums Machen geht“. Folglich beginnen die ersten Menschen die Gemeinde wieder zu verlassen, was dazu führt, dass das Wachstum nun vorerst einmal kleiner wird. In dieser Phase ist es kritisch, sich genau folgenden Themen zu widmen: Es müssen
- neue Leitungsebenen etabliert,
- Prozesse und Strukturen eingeführt und
- eine reibungslos funktionierende Infrastruktur implementiert werden.
Sollte das nicht gelingen, so befindet sich die Gemeinde in einem ewigen Kreislauf von Wachstum zu Weißwasser, was auf Dauer sehr frustrierend energieraubend ist – man stößt an die erste Wachstumsgrenze.
Der Leitertyp, welcher die Kirche durch diese Phase führt, ist der Barbar.
Barbaren sind Menschen, deren Fokus und gesamte Hingabe auf der Vision des Propheten liegt. Nicht selten passiert es, dass sich der Barbar aus dem Propheten heraus entwickelt. Häufig werden sie von außen als autoritär und beratungsresistent empfunden, doch dieser Eindruck trügt. Ihre Klarheit und Zielstrebigkeit resultieren nicht aus einer Arroganz, sondern aus einer Dringlichkeit für die Mission heraus. Sie sind äußerst aktionsorientiert – lange Planungsmeetings und Administration sind für sie der Tod auf Raten. Und doch sind sie keine erbarmungslosen Einzelkämpfer, sondern verstehen, das Leadership vielmehr Beziehung als Position ist. Sie sind sich ihrer Einseitigkeit bewusst und bauen sukzessive ein Team von Spezialisten um sich herum auf, das sich mit den anstehenden Herausforderungen auseinandersetzt – und diese im besten Fall löst. Dabei sind sie nicht zu sehr auf eine gemeinsame Konsensfindung, als vielmehr auf Problemlösung eingestellt.
Barbaren sind Menschen, deren Fokus und gesamte Hingabe auf der Vision des Propheten liegt. Nicht selten passiert es, dass sich der Barbar aus dem
Propheten heraus entwickelt.
Häufig werden sie von außen als autoritär und beratungsresistent empfunden, doch dieser Eindruck trügt. Ihre Klarheit und Zielstrebigkeit resultieren nicht aus einer Arroganz, sondern aus einer
Dringlichkeit für die Mission heraus.
Wenn sie um Feedback bitten, dann brauchen sie es offen, direkt und ohne ausschweifende Erklärungen. Eine Kirche, die von einer solchen Führungspersönlichkeit geleitet wird, spiegelt häufig seine oder ihre Persönlichkeit wider. Es kommt nicht selten vor, dass „Barbaren“ Kommunikationsstrukturen umgehen und den kurzen Dienstweg wählen. Dass dadurch Chaos und Irritation entstehen kann, ist ein Übel, das der Barbar gerne in Kauf nimmt - für ihn heiligt in diesem Fall der Zweck das Mittel.
Die Priorität in dieser Phase liegt vor allem darauf, neue Dienstbereiche zu entwickeln und in tragfähige Beziehungen zu investieren. Menschen, die in dieser und der ersten Phase zur Kirche gestoßen sind, wünschen sich nun feste Gruppen und Dienstbereiche, wie z.B. ein regelmäßiger Kindergottesdienst, eine Jugendarbeit und ein Kleingruppensystem. Somit verlagert sich der Fokus von rein außen auch etwas mehr nach innen, obgleich nach wie vor der Schwerpunkt des Fokus nach außengerichtet bleibt. Es kann nun auch mit regelmäßigen Einnahmen gerechnet werden, was etwas genauere Forecasts und erste Budgetplanungen ermöglicht.
Phase 3: Reifungsphase - Der Entdecker und der Bauherr
In der Reifungsphase einer Kirche wird sie schließlich erwachsen. Sie hat die Herausforderungen des Weißwassers erfolgreich gemeistert und mausert sich nun zu einer etablierten Organisation. Feste Räumlichkeiten, entweder erworben oder zur Langzeitmiete, sind vorhanden, neben dem Hauptpastor wird nun auch weiteres pastorales und administratives Personal eingestellt und so finden wir in Gemeinden in dieser Phase häufig ein Leitungsteam vor, welches angestellt werden konnte.
Nach wie vor freut sich die Kirche über stetigen und kontinuierlichen Zuwachs, nur eben nicht mehr so sprunghaft und chaotisch wie noch in der Wachstumsphase.
Die Priorität in dieser Phase liegt nun auf Prozessen und gesunden Abläufen, in denen ausgewogene und bevollmächtigende Leitungsstrukturen etabliert werden. Auch das Führungsverhalten der Leitung muss sich nun Stück für Stück weiterentwickeln: Um in dieser Phase nicht in eine Stagnation und schließlich in die Schrumpfungsphase abzurutschen, sind Innovationen, die Implementierung neuer Ideen und ein Fokus auf die Kommunikation der Vision von entscheidender Wichtigkeit. Dabei können nun auch langfristige Projekte angegangen oder etabliert werden. Nicht selten gründen oder betreiben Kirchen in dieser Phase Sozialwerke, Kitas oder andere Einrichtungen, die sich um gesellschaftliche Bedürfnisse kümmern. Je nach Gemeindegröße, sind selbst eigenbetriebene Bibelschulen in Voll- oder Teilzeit möglich, um eigene Nachwuchsleiter strategisch zu fördern und innerhalb der eigenen Kirchenkultur auszubilden.
Alles läuft nach Plan. Und genau das ist die mit Abstand größte Gefahr in dieser Phase, denn Selbstgefälligkeit und Stolz bringen die Kirche in gefährliches Fahrwasser.
Die Gottesdienste haben ein professionelles Level erreicht – sei es die Qualität der Musik, die Art der Kommunikation von Neuigkeiten oder das Streaming Angebot von Online-Gottesdiensten.
Die ehrenamtlichen Teams sind gut strukturiert und organisiert, es finden regelmäßig interne Veranstaltungen statt, die auf die Vision, Leadershipskills und den Informationsfluss einzahlen.
Alles läuft nach Plan. Und genau das ist die mit Abstand größte Gefahr in dieser Phase, denn Selbstgefälligkeit und Stolz bringen die Kirche in gefährliches Fahrwasser. Lawerence Miller schreibt über diese Phase: „… nun stehen die erfolgreichen Führungskräfte vor ihrer größten Prüfung. Sind sie in der Lage, die Vorwärtsbewegung aufrechtzuerhalten, weiterhin kreativ und entscheidungsfreudig zu sein und zunehmende Kompetenz zu entwickeln, während sie gleichzeitig ein gesichertes Gebiet verwalten? Wenn sie das können, wird die Organisation zu jener idealen Synergie gelangen, die ihr anhaltendes Wohlergehen garantiert. Wenn sie es nicht können und der Verwalter die Oberhand gewinnt, wird der Niedergang beginnen. Es gibt einen inhärenten Konflikt zwischen dem kreativen Wachstumsimpuls und dem Bedürfnis nach Ordnung. In dieser Phase der Entwicklung eines Unternehmens ist die Ordnung zunehmend der Sieger.“ (L. Miller, Barbarians to Bureaucrats: Corporate Life Cycle Strategies, Clarkson N. Potter Publishers, New York,1989, S. 84)
Deshalb ist es in dieser Phase wichtig, kontinuierlich sowohl die Vision und das Ziele der Kirche aufrechtzuerhalten als auch sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder weiterhin erfüllt werden.
Die Kirche sollte jetzt ihr Augenmerk auf langfristige Pläne und Projekte richten, um ihre Gemeinde weiterhin zu unterstützen und zu bereichern. Les McKeown beschreibt diese Phase als „Predictable Success“ (dt. etwa prognostizierbarer oder vorhersehbarer Erfolg).
Die Leitertypen, die dafür sorgen, dass die Kirche in dieser Phase fruchtbar bleibt, sind der Bauherr und der Entdecker.
Bauherren und Entdecker bilden somit die perfekte Konstellation, um den Fokus sowohl nach außen (Evangelisation, Vision, Wachstum) als auch nach innen zu richten (Strukturen & Prozesse, Dienstsysteme, Festigung). Nicht selten finden wir diese Symbiose in den Rollen des Senior Pastors und des Executive Pastors.
Wenn eine Gemeinde in dieser Phase langfristig erfolgreich bleiben will, benötigt es mehr als nur einen Leitertypen. Während Propheten und vor allem Barbaren sehr stark in ihrer Außenfokussierung und Visionsvermittlung sind, fehlt ihnen häufig die Fähigkeit ihren Leitungsstil nun von „direktiv“ auf „kollaborativ“ umzustellen, was in dieser Phase ein Schlüssel darstellt.
Bauherren und Entdecker bilden somit die perfekte Konstellation, um den Fokus sowohl nach außen (Evangelisation, Vision, Wachstum) als auch nach innen zu richten (Strukturen & Prozesse, Dienstsysteme, Festigung). Nicht selten finden wir diese Symbiose in den Rollen des Senior Pastors und des Executive Pastors.
Während die Entdecker unentwegt damit beschäftigt sind, neue Projekte zu realisieren und frische Ideen zu kommunizieren, kümmern sich die Bauherren um die nach innen gerichteten Aufgaben. Es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit, die aber keiner der beiden Typen als Einschränkung, sondern viel mehr als Bereicherung empfindet. Reflektierte Leiter sind sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst und erweitern ihren Einflussbereich durch die Einsetzung und Bevollmächtigung der richtigen Personen – nicht nur unter, sondern auch neben ihnen. Ich durfte eine große Kirche in dieser Phase begleiten und war fasziniert davon, wie die Leitungsebene miteinander arbeitet. Auch wenn es sicher nicht immer reibungslos zuging, sind die Ergebnisse bis heute von bedeutendem Erfolg und internationaler Tragweite.
Phase 4: Schrumpfungsphase – Administratoren und Bürokraten
Befindet sich eine Kirche in dieser Phase, so ist der Scheitelpunkt der Organisation überschritten. Grundsätzlich ist das nicht allzu dramatisch, denn gerade am Anfang ist es noch relativ einfach gegenzusteuern. Das Problem ist allerdings häufig, dass die wenigsten Leiter in der Lage sind, den Eintritt dieser Phase selbst zu diagnostizieren. Der Erfolg der vorhergegangenen Phasen sorgt für eine gewisse Selbstzufriedenheit. Das wiederum ist dramatisch, denn mit zunehmender Inaktivität in dieser Phase geht die Rückkehr in die Reifungsphase mit immer stärkeren Veränderungen und Einschnitten einher.
Im Allgemeinen befindet sich eine Kirche zu Beginn der Schrumpfungsphase von außen gesehen immer noch in einem guten und erfolgreichen Zustand, doch im inneren der Gemeinde beginnen sich so langsam die Dinge zu ändern.
Begeisterung und Freude weicht allmählich einer Lethargie, Kritik von innen wird lauter, die ersten Entscheidungen werden hinter vorgehaltener Hand in Frage gestellt.
Das Wachstum hat sich inzwischen eingestellt: Zu Beginn gehen in etwa so viele Menschen, wie neue hinzukommen, was sich im weiteren Verlauf jedoch mehr und mehr zu einer Schrumpfung entwickeln wird. Nichtsdestotrotz stimmen die Zahlen – noch. Die Gottesdienste sind erst mal noch gut besucht, die Finanzen sind stabil, die Außenwahrnehmung bleibt unbeschadet. Diese Entwicklung ist charakteristisch für eine Gemeinde, die von einem Administrator geführt wird.
Im Allgemeinen befindet sich eine Kirche zu Beginn der Schrumpfungsphase von außen gesehen immer noch in einem guten und erfolgreichen Zustand, doch im inneren der Gemeinde beginnen sich so langsam die Dinge zu ändern.
Das bedeutet freilich nicht, dass Gemeindeleiter und leitende Pastoren Administrative Aufgaben übernehmen, als vielmehr dass sie den Leitungsstil eines Administrators annehmen: Die Zahlen haben immer Recht. Administratoren glauben, dass Ordnung und Systeme zwangsläufig in Frucht resultieren werden. Sie tendieren dazu, mehr Zeit damit zu verbringen, wie Dinge getan werden, anstatt welche Dinge warum getan werden. Hier kippt die Kultur der Exzellenz in eine Kultur des Perfektionismus. Administratoren verbringen mehr Zeit damit Reports und Zahlen zu studieren, als damit Zeit mit Menschen zu verbringen. Der Fokus verschiebt sich von außen nach innen, von Leadership zu Management.
Sollte diese Entwicklung nicht frühzeitig erkannt und entsprechend gegengesteuert werden, so werden Administratoren zu Bürokraten. Ist dieser Wandel erst einmal vollzogen, so befindet sich die Kirche nun in einem ernstzunehmenden Abwärtsstrudel, der nicht mehr ohne große Bemühungen aufgehalten werden kann.
Miller beschreibt diese Phase wie folgt: „Das Hauptmerkmal des bürokratischen Zeitalters ist der Verlust des (…) Zwecks, was zu einem Verlust der Einheit führt. Die verschiedenen Schichten der Struktur verstehen einander nicht und sind zunehmend auf ihre eigenen Interessen fixiert. Die Leitung trennt sich von der Basis. Mit dem bürokratischen Zeitalter kommt das Zeitalter der Skepsis. Die Mitarbeiter in der bürokratischen Organisation beginnen daran zu zweifeln, dass ihre Führungskräfte eine klare Vision für die Zukunft der Organisation haben und stellen sich zunehmend die Frage, ob es sich lohnt, ihre Karriere dem Unternehmen zu widmen.“
Auch wenn Miller in den Unternehmenskontext schreibt, so finden wir doch starke Parallelen zu kirchlichen Strukturen: Vielleicht mögen noch nicht zu viele angestellte Mitarbeiter gehen, ein Exodus an ehrenamtlichen Leitern und Mitarbeitern hat aber bereits begonnen. Kritik wird nun nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern im halböffentlichen Bereich geäußert. Die Folge ist ein signifikanter Rückgang der Gottesdienstbesucher, der Finanzen und der ehrenamtlichen Mitglieder.
Dabei ist der Bürokrat bei Weitem mehr, als ein sich langsam bewegender Erbsenzähler im grauen Anzug. Viel schädlicher werden Bürokraten, wenn sie dazu tendieren, aggressiv zu mikromanagen: Dadurch quetschen sie jegliche Innovation, Kreativität und Begeisterung aus der Kirche heraus, was jeglichen Versuch, das Ruder wieder herumzureißen, im Keim erstickt.
Les McKewon bezeichnet diese Phase als “Big Rut” (z. dt. etwa: tiefe Fahrspur) und beschreibt sie wie folgt: „Die meisten Organisationen in „The Big Rut“ betrachten ihre eigene Existenz als Hauptgrund für ihr Dasein - mit anderen Worten, sie werden zu sich selbst erhaltenden Institutionen.“
Häufig versuchen Kirchen, durch veränderte Management-Strukturen und Prozesse diese Entwicklung aufzuhalten und umzukehren. Was allerdings gebraucht wird, ist ein erneuter starker Fokus auf die Vision, bis hin zur Mission der Kirche.
Diese Phase beinhaltet somit ein breites Spektrum an Entwicklungen und kann fast schon in zwei Unterphasen aufgeteilt werden. Während zu Beginn noch reichlich Möglichkeiten zum Gegenlenken vorhanden sind, schwinden diese zunehmend mit der Abwanderung von Leistungs- und Know-How-Trägern.
Häufig versuchen Kirchen, durch veränderte Management-Strukturen und Prozesse diese Entwicklung aufzuhalten und umzukehren. Was allerdings gebraucht wird, ist ein erneuter starker Fokus auf die Vision, bis hin zur Mission der Kirche. Kirchen in dieser Phase tun gut daran, spätestens jetzt mit einem Berater aktive Veränderungsprozesse einzuleiten, welche auf Leadership und Vision, anstatt auf Strukturen und Prozesse abzielen.
Einige Anzeichen, die dafürsprechen könnten, sich in dieser Phase zu befinden sind die Folgenden:
- Es fand mehr als eine grundlegende Restrukturierung innerhalb der letzten 3 Jahre statt
- Mitarbeiter und Leiter haben das Gefühl, dass sie nur wenig dazu beitragen können, das Schicksal der Kirche zu beeinflussen
- Mitarbeiter und Leiter dazu tendieren häufiger über die „guten alten Tage“ sprechen, als die Dinge noch Spaß gemacht haben
- Es liegt ein größerer Fokus darauf, Systeme und Strukturen zu reparieren, als darauf Menschen mit dem Evangelium zu erreichen und sie zu Nachfolgern von Jesus zu machen
Phase 5: Überlebensphase - Der Aristokrat
Diese letzte Phase des Lebenszyklus einer Kirche beginnt mit dem Ende der Bürokratie und endet mit: der letzte macht das Licht aus. Auch diese Phase kann sich über eine lange Zeit herausstrecken, je nachdem wie erfolgreich eine Kirche in der Vergangenheit gewirtschaftet hat.
In dieser Phase wirkt alles auf irgendeine Art und Weise zu groß – doch nicht etwa so, wie in der Phase I, als alles zu groß war um reinzuwachsen. Viel mehr in dem Sinne, dass man herausgeschrumpft ist und sich die Frage stellt, wie man das damals alles gemacht hat.
Typisch für diese Phase sind noch die übriggebliebenen Ruinen der Vergangenheit: Immobilien, der Eintrag im Vereinsregister und der letzte harte Kern. In dieser Phase leidet die Kirche bereits deutlich unter einem konstanten Mangel an Ressourcen, sowohl personell, als auch finanziell. Die Dienstbereiche sind auf Grund von Mitarbeitermangel auf ein absolutes Minimum zusammengeschrumpft, man schafft es gerade noch so einen Gottesdienst aufrechtzuerhalten. An eine florierende Jugendarbeit oder gar ein soziales Mitwirken in der Stadt oder politischen Gemeinde denkt schon lange niemand mehr.
In dieser Phase wirkt alles auf irgendeine Art und Weise zu groß – doch nicht etwa so, wie in der Phase I, als alles zu groß war um reinzuwachsen. Viel mehr in dem Sinne, dass man herausgeschrumpft ist und sich die Frage stellt, wie man das damals alles gemacht hat.
Gleichzeitig ist diese Phase von konstanter Rebellion und Unstimmigkeiten geprägt. Mitarbeiter rebellieren gegen die Führung, die Führung ist in einer kontinuierlichen Verteidigungshaltung. Dabei rebellieren Mitarbeiter am häufigsten mit ihren Füßen – ein Massenexodus an Kreativität, Know-How und Reife findet statt, was immer weniger kompensierbar wird.
An neue Leute und frische Leiter ist in dieser Phase kaum noch zu denken – der Fokus liegt nun fast ausschließlich auf internen Problemen und Herausforderungen, Restrukturierung wird zum Dauerzustand. Die Vision ist nur noch zu einem netten Spruch auf einem Bild an der Wand degradiert und ein letztes Zeichen vergangener Tage.
Die Leitungsrolle in dieser letzten Phase ist die des Aristokraten.
Leitung wird zum Selbstzweck, die Position und die Rolle sind nicht länger in Aufgaben, sondern in Personen verankert, Dynastien werden geschaffen. Organisationen, die unter der Leitung einer aristokratischen Führungsebene stehen, leiden häufig unter Zukunftsängsten. Die Angestellten fragen sich, ob sie morgen noch einen Job haben, die Gemeinde ob am Sonntag überhaupt genug Leiter und Mitarbeiter da sind einen Gottesdienst anzubieten.
Sie zeichnet sich in einem Klammern an Macht und Position aus.
Miller zitiert Peter Drucker mit folgenden Worten: „‘Macht muss legitim sein. Sonst hat sie nur Kraft und keine Autorität, ist nur Macht und niemals Recht. Um legitim zu sein, muss die Macht außerhalb ihrer selbst in etwas Transzendentem begründet sein, das als echter Wert akzeptiert wird… Wenn Macht ein Selbstzweck ist, wird sie zur Willkür, die sowohl illegitim als auch tyrannisch ist.‘ Und genau das geschieht im Zeitalter der Aristokratie.“
Leitung wird zum Selbstzweck, die Position und die Rolle sind nicht länger in Aufgaben, sondern in Personen verankert, Dynastien werden geschaffen. Organisationen, die unter der Leitung einer aristokratischen Führungsebene stehen, leiden häufig unter Zukunftsängsten. Die Angestellten fragen sich, ob sie morgen noch einen Job haben, die Gemeinde ob am Sonntag überhaupt genug Leiter und Mitarbeiter da sind einen Gottesdienst anzubieten.
Gleichzeitig verlieren Aristokraten den Bezug zur Realität – sie sind zu sehr damit beschäftigt, sich um ihr Image und Prestige zu kümmern. Empathie ist dabei eine Eigenschaft, die man nun vergebens sucht.
Miller beschreibt die Kennzeichen einer aristokratisch geführten Organisation wie folgt:
- „Sie leben vielleicht in einem aristokratischen Zeitalter, wenn ...
- ... eine völlige Trennung in der Wahrnehmung, den Erwartungen und der Kommunikation zwischen den Mitarbeitern und Führungskräften, die produzieren und verkaufen, und denen, die den Anspruch erheben, das Unternehmen zu leiten, besteht.
- ... ein großer Teil der Zeit und Energie in interne Kämpfe investiert wird, sowohl zwischen horizontalen Einheiten als auch vertikalen Schichten.
- .. es einen niemals enden wollenden Prozess der Reorganisation gibt.
- … ständige Bemühungen vorhanden sind, die Kosten zu senken und die Löhne niedrig zu halten und die " Verantwortlichen " ständig vor dem Ernst der Lage warnen. Gleichzeitig steigt ihre eigene Vergütung ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Verlauf des Unternehmens.“
Um diese Phase so schnell wie möglich zu verlassen, benötigt es eine extreme Kursänderung. Gebraucht werden wieder die Begabungen der Propheten und Barbaren aus den Phasen I & II. Dies geschieht entweder durch eine Kehrtwende im Leitungsverhalten der verantwortlichen Personen, oder eine neue Leitung muss initialisiert werden. Beides ist schmerzhaft, beides ist kompliziert, doch beide Wege sind möglich.
Fazit: Fast jede Kirche startet gleich, doch nicht jede muss gleich enden
Simon Sagmeister schreibt in seinem Buch „Business Culture Design“ von einem sich ständig wandelndem Umfeld. Ich glaube, niemand kann das leugnen. Dabei erklärt er, dass die Geschwindigkeit des Wandels innerhalb der Organisation, in diesem Fall einer Kirche, größer sein muss, als die Geschwindigkeit des Wandels außerhalb der Organisation. Er zitiert dazu Jack Welch: „If the rate of change outside exceeds the rate of change inside, the end is insight.“ (z. dt.: Wenn die Geschwindigkeit der Veränderung außerhalb größer ist, als die Geschwindigkeit innerhalb, dann ist das Ende bereits in Sicht). Die Organisationen, die es schaffen, sich auf diese veränderten Umstände am schnellsten einzustellen, sind die, die berechtigte Hoffnungen hegen können, schnell in Phase III zu kommen, sie zu halten oder dorthin zurückzukehren.
Propheten, Barbaren, Bauherren und Entdecker sind Leitertypen, die bereit sind, sich ständig neu auf sich ändernde Gegebenheiten einzulassen. Propheten überzeugen durch einen unerschütterlichen Glauben an eine hoffnungsvolle Zukunft, Barbaren scharen Spezialisten um sich und investieren in gesunde Beziehungen. Bauherren arbeiten eng mit ihren Teams zusammen, realisieren das Potenzial, welches in Synergie sowie in Zusammenarbeit liegt, während Entdecker niemals müde werden neues Land zu entdecken und die Vision frisch und groß zu halten. Diese Leitertypen sind es, die entdeckt, gefördert und benötigt werden, um gesunde Kirchen zu gründen, zu führen und wiederzubeleben.
Autor: Alex Landmann
Alex berät in Deutschland, Österreich und der Schweiz Gemeinden, um ihnen zu helfen, ihre Berufung zu entdecken und zu leben. Er lebt in Düsseldorf, ist mit Silke verheiratet und Vater zweier Töchter.
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